Hypercholesterinämie: Diagnose Bedeutung und Therapiemöglichkeiten

Vortrag vom 5. April 2000 in Rahmen der Fortbildungsveranstaltung "Fälle aus der ambulanten Medizin" von Dr. med Georg Schulthess, Oberarzt Medizinische Poliklinik, Departement für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich

Weitere Informationen: siehe Webseite der Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA)
 

Referenzbereiche

Werte in der Durchschnittsbevölkerung
Anlässlich einer Untersuchung in den Kantonen Waadt, Freiburg und Tessin wurde bei 58% der 45- bis 54-jährigen Männer und bei 64% der 65- bis 74-jährigen Frauen ein Cholesterinspiegel über 6.5 mmol/l gemessen4. Eine solche Diskrepanz zwischen Normalwerten und dem Referenzbereich ist ungewöhnlich und wirft heikle Fragen hinsichtlich eines sinnvollen ärztlichen Handelns auf.

Abschätzung des kardiovaskulären Risikos
Der Cholesterinspiegel ist ein gewichtiger aber doch nur singulärer Risikofaktor. Tatsächlich relevant ist das individuelle Risiko an Arteriosklerose zu erkranken. Für Menschen mit gesundem Gefässystem hängt dieses Risiko in hohem Mass von Alter, Cholesterinwerten und Anzahl zusätzlicher Risikofaktoren ab (Tabelle 1). PatientInnen mit bereits manifester Arteriosklerose unterliegen durchschnittlich einer kardiovaskulären 10-Jahres-Mortalität von ~ 15%, verbunden mit einem Risiko von ~ 30% eines nicht-letalen Myokard(re-)infarktes5,6. Die koronare Herzkrankheit ist die häufigste arteriosklerotische Manifestation und zeigt eine besonders enge Assoziation zur Hypercholesterinämie7.

Indikation zur Therapie
Cholesterin wird aus der Nahrung absorbiert oder entstammt der körpereigenen Synthese. Durch jeden dieser Prozesse kann soviel Cholesterin rekrutiert werden, dass eine Hypercholesterinämie unterhalten wird. Die Therapie der Hypercholesterinämie umfasst die Kontrolle eines oder beider dieser Prozesse.

Bei Hypercholesterinämie wird primär eine cholesterinarme/mediterrane Diät instruiert und eine Normalisierung des Körpergewichts angestrebt. Eine Alternative bietet die Hemmung der intestinalen Cholesterinabsorption mittels pflanzlicher Sterole. Ein regelmässiges körperliches Ausdauertraining ist auch indiziert. Diese Massnahmen bleiben auch Bestandteil jeder weiterführenden Therapie mit dem Einsatz cholesterinsenkender Medikamente. [Die grossen Interventionsstudien mit Statinen wurden dementsprechend unter Instruktion einer cholesterinarmen Diät durchgeführt].

Die Inhibitoren der endogenen Cholesterinsynthese (Statine) haben die anderen Medikamente in Nebenrollen verdrängt. Eine medikamentöse Intervention ist in folgenden Situationen effektiv:
 

  1. Primärprophylaxe: Bei Menschen mit gesundem Gefässystem, aber einem hohen individuellen Risiko an Arteriosklerose zu erkranken (Tabelle 1). Der Cut-off zur medikamentösen Therapie wird international verschieden gesetzt, nämlich bei folgenden 10-Jahres-Risiken:
    1. ab ~ 5% [Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose, St. Gallen 1999]
      ab 15% Einsatz von Aspirin, ab 30% Einsatz eines Statins [Sheffield table 2000]1
      ab 25%, mit steigendem Alter ab 35-40% [Dutch Consensus on Cholesterol, 1999]2


    Ein Diabetes Typ 2 geht oft mit weiteren Risikofaktoren und hohem kardiovaskulären Risiko einher8. Deshalb wird die primäre Behandlung von Typ-2-Diabetikern gemäss Schema der Sekundärprophylaxe empfohlen [Schweiz. Diabetes-Gesellschaft, Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose, 1999].
     

  2. Sekundärprophylaxe: Bei arteriosklerotisch erkrankten Patienten mit einem Gesamtcholesterin > 5 mmol/l und einem Quotienten Gesamtcholesterin/HDL-Cholesterin > 5.

  3.  
  4. Beim Vorliegen einer familiären Hyperlipidämie: Screening und Behandlung ganzer Familien.

  5. Folgende klinischen Kriterien weisen auf eine familiäre Hyperlipidämie infolge Einzelgen-Mutation:
     
Tabelle 1: Primärprophylaxe
Abschätzung des kardiovaskulären Risikos bei Personen ohne vorbestehende arteriosklerotische Erkrankung in Abhängigkeit verschiedener Risikofaktoren.
Anzahl zusätzl. Riskofaktoren:
- Diabetes
- Rauchen
- Hypertonie
Alter
10-Jahres-Risiko für die Entwicklung (Erstmanifestation)
einer koronaren Herzkrankheit (%) 
 
 
Quotient: Gesamtcholesterin / HDL-Cholesterin
Männer   4-5 5-6 6-7 7-8
0 40
50
60
70
3-4
6-8
11-14
16-20
4-5
8-11
14-17
20-24
5-7
11-13
17-20
24-27
7-8
13-15
20-23
27-31
1 40
50
60
70
4-7
8-13
14-21
20-29
5-9
11-16
18-25
25-33
7-11
14-19
21-28
29-37
9-13
17-22
24-31
32-40
2 40
50
60
70
6-10
12-18
18-26
25-34
8-12
15-21
22-30
30-39
10-15
18-24
26-34
34-43
12-17
21-27
30-37
38-46
3 40
50
60
70
10-13
18-22
26-31
34-39
13-16
22-26
31-35
39-44
15-19
26-30
35-39
44-48
19-21
30-33
39-42
38-51






Frauen   4-5 5-6 6-7 7-8
0 40
50
60
70
1-2
3-5
6-8
8-10
2
5-7
8-10
10-13
2-3
7-8
10-13
13-15
3-4
8-10
13-15
15-18
1 40
50
60
70
2-4
5-10
8-16
10-19
3-5
7-13
11-19
13-22
4-7
8-15
14-22
16-25
5-8
11-18
16-25
18-28
2 40
50
60
70
3-7
9-16
13-23
15-26
5-9
12-20
17-27
19-31
6-11
15-23
20-30
23-34
8-13
17-26
24-34
26-38
3 40
50
60
70
8-10
17-21
23-28
26-31
10-13
21-25
28-32
31-35
13-15
25-28
32-36
35-39
15-18
28-31
36-39
39-42
  Grundlage: Framingham Risk Score; Jukema et al., Acta Cardiol. 54, 163-168, 1999 (Ref. 2)
 

Therapieformen

Cholesterinarme Diät
Das Einhalten einer cholesterinarmen Diät erfordert viel Disziplin und ist oft wenig erfolgreich. Eine Metaanalyse über 90'000 Probanden zeigt dennoch, dass durch Instruktion einer cholesterinarmen Diät eine Reduktion des Serumcholesterins um ~ 10% erreicht werden kann. Der Anteil verstorbener oder an einem Herzinfarkt erkrankter Personen betrug 4.8% in der Diätgruppe, 5.5% in der Kontrollgruppe9. Eine extreme Einschränkung der Cholesterinzufuhr lohnt sich deshalb nicht, weil die endogene Cholesterinsynthese stimuliert wird, besonders bei reichlicher Einnahme von Kohlenhydraten10.
 

Tabelle 2: Cholesteringehalt verschiedener Lebensmittel (mg/100g)
Obst 0 Vollmilch 11 Fleisch, Wurst 60-110 Eierteigwaren (Rohgewicht) 140
Gemüse, Salat 0 Käse 40-110 Geflügel 80 Schwarzwäldertorte 180
Kartoffeln, Reis 0 Butter 280 Fisch 30-70 Leber 380
Pflanzliche Öle 0 Quark, 40% Fett 37 Hummer 150-200 1 Ei (60g): Eigelb 300
Margarine 0 Magerquark 1 Krevetten 150-200 1 Ei (60g): Eiweiss 0
Margarinen sollen einen tiefen Gehalt an Trans-Fettsäuren (<1g/100g) aufweisen. Gehärtete Margarinen (Trans-Fettsäuren ~ 20g/100g) beeinflussen die Serumlipide ungünstig, auch verglichen mit Butter11.

Pflanzliche Sterole (Phytosterole)
Pflanzliche Sterole hemmen die Absorption von Cholesterin aus dem Darmtrakt, werden aber selber nicht absorbiert. Die tägliche Einnahme von 20 g Margarine (2-3 bestrichene Brotscheiben) angereichert mit 2 g Phytosterolen inhibiert die intestinale Cholesterinabsorption um ~ 65% und reduziert das Serumcholesterin um ~ 10%12,13.
[Phytosterol-angereicherte Margarine: becel, pro.activ].

Medikamentöse Interventionen

Statine
Statine hemmen das Schlüsselenzym (3-Hydroxy-3-Methylglutaryl Koenzym A Reduktase) der endogenen Cholesterinsynthese. Die Verabreichung von Statinen bewirkt eine Reduktion des Gesamtcholesterins um 20-25% und einen Anstieg des HDL-Cholesterins um 5-10%. In den grossen Studien wird mit den Statinen bemerkenswert konsistent eine Reduktion der totalen Mortalität und des kardiovaskulären Risikos erreicht5,6,14. Durch die Verabreichung eines Statins an 100 Patienten über (extrapoliert) 10 Jahre werden im Rahmen der Sekundärprophylaxe 6 (von 21) Todesfälle, sowie 11 (von 35) nicht-letale Herzinfarkte verhindert6. Eine Primärprophylaxe verhindert 2 (von 8) Todesfälle, sowie 4 (von 16) nicht-letale Herzinfarkte14. Für die Sekundärprophylaxe wurde berechnet, dass ein Grossteil der Medikamentenkosten durch verminderte Inanspruchnahme stationärer Krankenhaus-leistungen eingespart wird15. Die Primärprophylaxe ist effektiv, wenn Individuen mit hohem kardiovaskulärem Risiko behandelt werden (Tabelle 1).
[Atorvastatin (Sortis®), Cerivastatin (Lipobay®), Fluvastatin (Lescol®), Pravastatin (Selipran®, Mevalotin®), Simvastatin (Zocor®) - cave Interaktionen mit Proteaseinhibitoren und NNRTI's!]

Fibrate
Fibrate bewirken eine Senkung der Triglyzeride um ~ 30%, eine Senkung des Gesamtcholesterins um ~ 10% und eine Zunahme des HDL-Cholesterins um ~ 10%16. Fibrate werden in Kombination mit Statinen zur Therapie gemischter Hyperlipidämien eingesetzt und als Monotherapie bei isolierter Hypertriglyzeridämie. Rhabdomyolyse ist eine gehäufte Nebenwirkung der Kombination von Statin und Fibrat.
[Fibrate: Bezafibrat (Cedur®), Ciprofibrat (Hyperlipen®), Etofibrat (Lipo Merz®), Fenofibrat (Lipanthyl®), Gemfibrozil (Gevilon®)]

Gallensäurebindende Harze
Diese Substanzklasse bindet Gallensäuren im Darmlumen. Die Verarmung des Gallensäure-Pools führt zur Senkung des Serumcholesterins. Austauschharze werden erfolgreich in Kombination mit Statinen eingesetzt.
[Gallesäurebindende Harze: Colestipol (Colestid®), Colestyramin (Quantalan®)]

Mediterrane Diät
Bei Patienten nach Herzinfarkt mit üblicher Nachbehandlung zeigt das Einhalten einer mediterranen Diät während 4 Jahren einen erstaunlichen Erfolg17:
 
 
Mediterrane Diät (n=219)
Kontrolle (n=204)
nicht-fatale Myokard(re-)infarkte (n)
8 (3.6%)
25 (12.2%)
kardiale Todesfälle (n)
6 (2.7%)
19 (9.3%)

Die mediterrane Diät führt weder zu einer Senkung des Gesamtcholesterins noch zu einer Hebung des HDL-Cholesterins. Es wird spekuliert, dass die Oxidation von LDL-Cholesterin gehemmt wird. Folgende Besonderheiten der mediterranen Diät wurden erfasst:

Instruktion20:
  • täglich frische Früchte und Gemüse (Antioxidantien, omega-3-Fettsäuren)
  • viel Fisch (omega-3-Fettsäuren) und Brot
  • Oliven- oder Raps-Öl, Raps-Margarine (alpha-Linolensäure)
  • gemässigter Weinkonsum zu den Mahlzeiten freigestellt
  • reduzieren: Fleisch, Butter

Referenzen

  1. Wallis, E.J., Ramsay, L.E., Haq, I.U,. Ghaharamani, P., Jackson, P.R., Rowland-Yeo, K., Yeo, W.W: Coronary and cardiovascular risk estimation for primary prevention: validation of a new Sheffield table in the 1995 Scottish health survey population. BMJ 320, 671-676, 2000.
  2. Jukema, J.W., Simoons, M.L.: Treatment and prevention of coronary heart disease by lowering serum cholesterol levels; from the pioneer work of C.D. de Langen to the third "Dutch Consensus on Cholesterol". Acta Cardiol. 54, 163-168, 1999.
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  8. Haffner, S.M., Lehto, S., Rönnemaa, T., Pyörälä, K., Laakso, M.: Mortality from coronary heart disease in subjects with type 2 diabetes and in nondiabetic subjects with and without prior mycocardial infarction. N. Engl. J. Med. 339, 229-234, 1998.
  9. Truswell, A.S.: Review of dietary intervention studies: effect on coronary events and on total mortality. Aust. N. Z. J. Med. 24, 98-106, 1994.
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