Darunavir (Prezista®)

Einleitung

Darunavir [DRV, TMC-114, Handelsname Prezista®, Tibotec (Janssen-Cilag AG)] gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Protease-Inhibitoren genannt werden. Weitere Substanzen dieser Klasse sind Amprenavir, Atazanavir, Indinavir, Lopinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir und Tipranavir. Die Wirkungsweise dieser Substanzen besteht in der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der HIV-Protease. Die Blockierung dieser "Eiweiss-Schere" führt zu unreifen, nicht-infektiösen Viren, d.h. sie können keine weiteren Zellen mehr infizieren. Protease Inhibitoren verhindern deshalb bei HIV-infinzierten Personen neue Infektionszyklen. Zwischen den bisher zugelassenen Proteaseinhibitoren besteht eine weitgehende Kreuzresistenz; d.h. gegen Viren, die auf die eine Substanz unempfindlich geworden sind nützen auch die anderen Medikamente dieser Substanzklasse nichts mehr, oder zumindest nicht mehr zuverlässig. 
Die Proteaseinhibitoren Darunavir und Tipranavir werden gelegentlich auch als "second generation" Proteaseinhibitoren bezeichnet, da sie häufig auch dann noch (zumindest partiell) wirken, wenn Viren mit multiple Resistenzmutation vorliegen, die gegenüber andere PI's unempfindlich geworden sind.

Darunavir ist in den USA seit dem 23.06.2006 zugelassen. In der Schweiz ist die Substanz seit dem 01.01.2007  zur Behandlung von PatientInnen mit vorgängigem Therapieversagen und seit dem 01.08.2009 auch zur Behandlung von ART-naiven Patienten  kassenpflichtig.

Protease Inhibitoren werden vorzugsweise zusammen mit zwei Nukleosidanalogen RT-Hemmern oder einem Nukleosidanalogen- und einem Nukleotidanalogen RT-Hemmer eingesetzt. Im Idealfall handelt es sich um drei neue Substanzen, mit denen eine Person noch nie zuvor behandelt wurde. Bei vorbehandelten Personen ist dies nicht immer möglich. In diesem Fall sollte ein Therapiewechsel mindestens zwei neue Substanzen ohne Kreuzresistenz umfassen mit denen die Person noch nie zuvor behandelt wurde. Die Zugabe lediglich einer neuen Substanz zu einer unbefriedigenden Therapie führt zur Entwickung von Resistenzen und ist zum Scheitern verurteilt.

Resultate von Studien

Darunavir ist ein nicht-peptidische Proteaseinhibitor und zeigte in vitro eine gute Wirksamkeit gegen PI-resistente Viren. Wegen der schlechten oralen Bioverfügbarkeit ist eine Ritonavir-Boosterung (r) erforderlich.

In den Studien Phase IIb Studien Power 1 (USA) und 2 (Europa) wurden nicht ganz  600 vorbehandelte PatientInnen (Vorbehandlung mit drei Medikamenten-Klassen, im Median 11 Substanzen) randomisiert entweder mit Darunavir/r  (in unterschiedlicher Dosierung) oder mit einem zugelassenen, ebenfalls Ritonavir-geboosteten Protease-Inhibitor (nach Wahl des Investigators, basierend auf Behandlungsvorgeschichte und Resistenztest) zusammen mit mindestens zwei Nukleosid- bzw. Nukleotidanalogen RT-Hemmern +/- Enfuvirtide behandelt.
Trotz einer erheblichen Anzahl von Resistenz-Mutationen vor Beginn der Behandlung fand sich in der 600 mg-Gruppe (Darunavir/r 2 x 600/100mg/d, n= 131=  65+66 in Studie I bzw Studie 2) nach 48 Wochen bei 46 % der PatientInnen ein viral load <50 HIV-1 RNA-Kopien/ml und die CD4 Zellen stiegen im Mittel um 102/ul an während in der Vergleichsgruppe ein viral load < 50 HIV-1 RNA-Kopien/ml  lediglich bei 10 % der PatientInnen beobachtet werden konnte und der CD4-Zellanstieg im Mittel  lediglich 19 Zellen/ul betrug.
Der virologische Erfolg in der Darunavir-Gruppe korrelierte einerseits mit der Anzahl DRV-Resistenz-assoziierter Mutationen (RAMs), der phänotypischen Resistenz und der Anzahl aktiver Substanzen nebst Darunavir (Nukleosidanaloge RT-Hemmer und Enfuvirtide). 60% der PatientInnen mit Viren ohne oder 1 RAM hatten nach 24  Wochen einen viral load <40 Kopien/ml, bei den PatientInnen mit Viren mit 2 RAMs waren es 40% und bei Viren mit 3 oder mehr RAMs waren es 20%. Phänotypische Resistenz: 50% der PatientInnen mit Viren mit einem FC-Index <10 hatten nach 48 Wochen einen viral load <40 Kopien/ml, bei Viren mit einem FC-Index 10-40 waren es 25% und bei solchen mit einem FC-Index >40 waren es 13%.

In der Titanstudie (Phase III, non inferiority study) wurden 595 PatientInnen (alle ohne Lopinavir-Vorbehandlung, davon 31% ohne jegliche Proteaseinhibitor-Vorbehandlung) mit einem "optimised background regimen" plus offen entweder mit  Darunavir/r (2 x 600/100 mg/d) oder mit Lopinavir/r (2x 400/100 mg/d) behandelt. Nach 48 Behandlungswochen wiesen 77% [220 von 286] der mit Darunavir und 68% [199 von 293] der mit Lopinavir behandelten PatientInnen einen viral load von weniger als 400 RNA Kopien/ml auf, entsprechend einer Differenz von 9% ( 95% Vertrauensintervall 2-16%). Nach 96 Behandlungswochen wiesen 67% der mit Darunavir und 59% der mit Lopinavir behandelten PatientInnen einen viral load von weniger als 400 RNA Kopien/ml auf, entsprechend einer Differenz von 8.7% (95% Vertrauensintervall 0.7-16.7%).
Und, bei PatientInnen mit  virologischen Therapieversagen wurden sowohl seltener primäre PI-Resistenz assoziierte Mutationen (21% [n=6] vs 36% [n=20]) als auch NRTI-Resistenz assoziierte Mutationen (14% [n=4] vs 27% [n=15]) beobachtet. Die Sicherheit und Verträglichkeit war insgesamt vergleichbar;  unerwünschte Wirkungen vom Grad 3 und 4  wurden bei 80 (27%) PatientInnen unter Darunavir und 89 (30%) unter Lopinavir beobachtet.

Und, bei PatientInnen mit  virologischen Therapieversagen wurden sowohl seltener primäre PI-Resistenz assoziierte Mutationen
(21% [n=6] vs 36% [n=20]) als auch NRTI-Resistenz assoziierte Mutationen (14% [n=4] vs 27% [n=15]) beobachtet. Die Sicherheit und Verträglichkeit war insgesamt vergleichbar;  unerwünschte Wirkungen vom Grad 3 und 4  wurden bei 80 (27%) PatientInnen unter Darunavir und 89 (30%) unter Lopinavir beobachtet.

In der prospektiv randomisierten Artemisstudie 
(Phase III, non inferiority study) wurden 689 bisher unbehandelte PatientInnen während 48 (96) Wochen entweder mit Darunavir/r 1x 800/100 mg/d oder Lopinavir/r (1x 800/200 mg/d oder 2x 400/100mg/d, zT mit LPV-Kapseln, zT mit LPV-Tabletten) zusammen mit Tenofovir + Emtricitabin behandelt. Nach 48 Behandlungswochen wiesen 84% der mit Darunavir und 78% der mit Lopinavir behandelten PatientInnen einen viral load von weniger als 50 RNA Kopien/ml auf.  Nach 96 Behandlungswochen wiesen 79% der mit Darunavir und 71% der mit Lopinavir behandelten PatientInnen einen viral load von weniger als 50 RNA Kopien/ml auf, entsprechend einer Differenz von 8.3% (95% Vertrauensintervall 1.8-14.7%).


Resistenz

Resistenzassoziierte Mutationen umfassen V11I, V32I, L33F, I47V, I50V, I54L oder M, G73S, T74P, L76V, I84V und L89V. Eine verminderte Empfindlichkeit (seltener ein Viral load-Abfall >1 log oder geringerer Anteil von Patienten mit einem  viral load <40 HIV-1 RNA-Kopien/ml) findet sich beim Vorliegen von 3 und mehr Mutationen. 

Nebenwirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen, und Bauchschmerzen. Hautausschlag (7%), typischerweise 10d nach Behandlungsbeginn. Darunavir ist chemisch ein Sulfonamid. Kreuzallergien mit andern Medikamenten aus dieser Substanzklasse [z.B. Cotrimoxazol (Bactrim®), Fos-Amprenavir (Telzir®)] wurden in den klinischen Studien nicht gehäuft beobachtet, sind jedoch grundsätzllich möglich. Bezüglich Diarrhoe erscheint die Substanz besser als andere Proteaseinhibitoren, bezüglich Lipidprofil günstiger als Lopinavir/r und bezüglich den meisten  - aber nicht allen - metabolischen Parametern vergleichbar mit Atazanavir/r.

Interaktionen

Darunavir, die anderen Proteaseinhibitoren und die Nicht-Nukleosidanloga RT-Hemmer werden in der Leber über das Cytochrom P450-System abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, sogenannte Interaktionen , sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese dasselbe Enzymsystem benutzen. Das Resultat dieser Wechselwirkungen sind häufig zu hohe oder zu niedrige Blutspiegel von Tipranavir und/oder der anderen eingenommenen Substanz. Einzelne Interaktionen sind potentiell lebensbedrohlich. Zu hohe Blutspiegel führen unter Umständen zu Nebenwirkungen, zu tiefe Blutspiegel zum Verlust der Wirksamkeit. 

Darunavir darf nicht zusammen mit Johanniskraut (Hypericum perforatum, St John’s Wort), Echinacea, Rifampicin, Rifapentin, Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepine, Ergotamin-Präparaten, anderen Proteasinhibitoren (ausser Atazanavir und Indinavir) und einigen weiteren Substanzen eingenommen werden; für andere Substanzen (z.B. Rifabutin, PDE5-Inhibitoren, Atorvastatin) gelten spezielle Dosierungsvorschriften. Wichtige Ausnahme im Vergleich zu anderen Proteaseinhibitoren: der gleichzeitige Einsatz von Pravastatin ist kontraindiziert; bei einer Hypercholesterinämie soll die niedrigst mögliche Dosis von Atorvastatin (10mg) eingesetzt werden.

Lagerungsvorschriften

Darunavir ist in der Schweiz derzeit erhältlich als Tabletten à 300 mg - in Kürze ausschliesslich als Tabletten à 75, 150, 400 und 600 mg - und ist nach Vorschrift des Herstelllers aufzubewahren.

Dosierung

Bei bisher unbehandelten PatientInnen (empfindliche, antiretroviral naive Viren), PatientInnen ohne vorgängigem Therapieversagen mit einer PI oder NNRTI-Intoleranz (empfindliche, antiretroviral "naive" Viren) und bei Patientinnen mit einem Therapieversagen unter einer firstline eingesetzten NNRTI-basierten Dreierkombination (NNRTI-resistente, Proteaseinhibitor empfindliche Viren) wird Darunavir wird zusammen mit Nukleosidanaloga oder Nukleotidanaloga RT-Hemmern in einer Dosierung von 1 x 800 mg (1 x 2 Tabletten à  400 mg) pro Tag zusammen mit je 1 x 100 mg (1x 1 Kapsel) Ritonavir und einer Mahlzeit/Snack eingenommen*.  
Bei PatientInnen mit vorgängigem Versagen einer Proteaseinhibitor basierten Dreierkombination (vorbehandelte, auf Proteaseinhibitoren vermindert empfindliche Viren) wird Darunavir  zusammen mit Nukleosidanaloga oder Nukleotidanaloga RT-Hemmern in einer Dosierung von 2 x 600 mg (2 x 1 Tablette à 600 mg/d) pro Tag zusammen mit je 2 x 100 mg (2x 1 Kapsel) Ritonavir und einer Mahlzeit/Snack eingenommen. 

Kommentar

Die Ergebnisse der erwähnten Phase II - Studien zeigen einen in einer Patientengruppe mit derart limitierten Behandlungs-Optionen bislang nicht beobachteten Erfolg. Zudem scheint das Nebenwirkunsgprofil vergleichsweise vorteilhaft: meist leichte gastrointestinalen Nebenwirkungen, gelegentlich ein Hautausschlag, keine übermässige Dyslipidämien und Leberwerterhöhungen. Aufgrund einer Halbwertszeit von 12-15 Stunden bzw. den Ergebnissen der Artemis-Stuide ist eine einmaltägliche Dosierung von  Darunavir/r 800/100mg/d bei bisher Unbehandelten bzw. Viren ohne PI-resistenz-assoziierten Mutationen möglich. Die Titan-Studie zeigt, dass Darunavir/r auch bei weniger vorbehandelten PatientInnen eine zumindest vergleichbare, wenn nicht sogar eine grössere Wirksamkeit als Lopinavir aufweist. Schade ist das Lipidprofil nicht fundamental unterschiedlich. Gemäss den aktuellen US-Therapieempfehlungen gehört Darunavir/r in einer einmaltäglichen Dosierung zu den Proteasinihibitorn der Wahl bei der Erstlinientherapie.


Literatur



Last update 01.08.2009