Delavirdin (Rescriptor®)

Einleitung

Delavirdin (DVD, U90, Handelsname Rescriptor®, Hersteller Agouron) gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Nicht-Nukleosidanaloga RT-Hemmer (NNRTI) genannt werden. Weitere Medikamente dieser Klasse sind Efavirenz, Etravirin, Nevirapin und Rilpivirn. Die Wirkungsweise dieser Substanzen besteht in der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der Reverse Transkriptase. Die Blockierung dieses Enzyms führt zum Abbruch der Übersetzung der genetischen Information des Virus von RNA in DNA. Dies bedeutet, dass neue Zellen vor einer Infektion geschützt und weitere Infektionszyklen verhindert werden. Zwischen den Nicht-Nukleosidanaloga RT-Hemmern Delavirdin, Nevirapin und Efavirenz besteht eine nahezu 100%ige Kreuzresistenz; d.h. gegen Viren, die auf die eine Substanz unempfindlich geworden sind nützen auch die anderen Medikamente nichts mehr.

In den USA ist Delavirdin in Kombination mit anderen antiretroviral aktiven Substanzen (Nukleosidanaloga RT-Hemmern (NRTI) (AZT, ddI, ddC, 3TC, d4T) und Protease-Inhibitoren) zur Therapie der HIV-Infektion bei Erwachsenen zugelassen.

Resultate von Studien

Resultate einer Delavirdin-Studie mit klinischen Endpunkten sind nicht bekannt.

In der Studie ACTG 261 wurden 544 zuvor zumeist unbehandelte Patienten (194 mit einer AZT- und 6 mit einer ddI-Vorbehandlung von maximal 6 Monaten) mit einem mittleren viral load von ca. 28'000 RNA-Kopien/ml und einer mittleren CD4-Zellzahl von ca. 230 Zellen/ul mit einer der folgenden vier Kombinationen behandelt: a) Delavirdin + AZT + ddI, b) Delavirdin + AZT, c) Delavirdin + ddI oder d) AZT + ddI behandelt. Nach 48 bzw. 32 Behandlungsmonaten zeigte der Vergleich der Delavirdin-enthaltenden Kombinationen (a,b,c) mit der Kombination AZT + ddI (d) keinen bedeutsamen Unterschied bezüglich dem Anstieg der CD4-Zellen (etwa 20-60 Zellen) oder dem Abfall des viral loads (0.4-1 log, Abnahme um Faktor 2.5-10).

In der Studie 021 - part deux1 wurden 370 zuvor weder mit einem NNRTI, mit 3TC, noch mehr als 6 Monate mit AZT-vorbehandelte Menschen mit einem mittleren viral load von 22'000 - 31'000 RNA-Kopien/ml und einer mittleren CD4-Zellzahl von ca. 360 Zellen/ul mit einer der folgenden drei Kombinationen behandelt: a) Delavirdin + AZT + 3TC, b) AZT + 3TC und c) AZT + Delavirdin. Nach 6 Monaten betrug die Reduktion des viral loads in den drei Armen 2.2, 1.3 und 0.6 log (Faktor: 160, 20 und 4) und mehr Patienten unter der Dreierkombination hatten einen viral load <400 RNA-Kopien/ml (68%) als unter einer der beiden Zweierkombinationen (22% bzw. 0%). Ein ähnliches Bild zeigte die Analyse bei einer Nachweisgrenze von 50 RNA-Kopien/ml: 59% unter der Dreierkombination, 10% unter AZT + 3TC und 0% unter AZT + Delaviridn hatten einen nicht nachweisbaren viral load. Der Anstieg der CD4-Zellen zwischen 24-52 Wochen betrug im Arm a) etwa 90-120 Zellen, im Arm b) 70-80 Zellen (Differenz zwischen a und b nicht signifikant) und im Arm c lediglich 10-20 Zellen/ul.

Ähnliche Resultate zeigt die Analyse der Subgruppe bis anhin unbehandelter Menschen einer randomisierten Studie2, bei der in einem Behandlungsarm 78 Personen mit AZT + 3TC (+Placebo) und im andern 74 Personen mit AZT + 3TC + Delavirdin behandelt wurden. Nach 24 Behandlungswochen wiesen 2.6% und 47.3% einen Viral load von weniger als 40 RNA-Kopien/ml auf. Bei Menschen mit einem Ausgangsviral load von weniger als 100'000 RNA-Kopien/ml waren es 4.2 bzw. 64.0%; bei einem Ausgangsviral load von mehr als 100'000 jeoch lediglich 2.0 bzw. 39.1%.

Resistenz

Zur Entwicklung einer völligen Resistenz genügt eine einzelne Mutation an Position 181. Viren mit dieser Resistenzmutation sind 100%ig kreuzresistent gegen Nevirapin. Im Reagenzglas sind diese Viren weiterhin empfindlich auf Efavirenz. Viren mit einer Mutation an Position 103 sind gegen alle bisherigen NNRTIs resistent.

Nebenwirkungen

Die häufigste beobachtete Nebenwirkung ist ein Hautausschlag, der in einzelnen Studien bei jedem fünften Patienten beobachtet wurde. Der Hautausschlag ist üblicherweise mild und tritt in der ersten 1-3 Behandlungsmonaten auf. Bei ca. 4% der Studienteilnehmer wurde der Ausschlag als schwerwiegend beurteilt und die Behandlung abgebrochen.

Interaktionen

Delavirdin, andere Nicht-Nukleosidanloga RT-Hemmer und Protease-Inhibitoren werden in der Leber über das Cytochrom P450-System abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, sogenannte Interaktionen, sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese dasselbe Enzymsystem benutzen. Das Resultat dieser Wechselwirkungen sind häufig zu hohe oder zu niedrige Blutspiegel von Delavirdin und/oder der anderen eingenommenen Substanz. Einzelne Interaktionen sind potentiell lebensbedrohlich. Zu hohe Blutspiegel führen unter Umständen zu Nebenwirkungen, zu tiefe Blutspiegel zum Verlust der Wirksamkeit.
Delavirdin sollte nicht zusammen mit folgenden Substanzen eingenommen werden: Alprazolam, Astemizol, Carbamazepin, Cisaprid, Midazolam, Rifabutin, Rifampicin, Phenobarbital, Phenytoin, Terfenadin, Triazolam.
Eine Übersicht - gegliedert nach therapeutischen Gruppen - über die wichtigsten Substanzen deren gleichzeitige Einnahme mit Delavirdin zu bedeutsamen Wechselwirkungen führt findet sich in der Tabelle Interaktionen mit antiretroviralen Medikamenten.

Lagerungsvorschriften

Delavirdin ist bei Zimmertemperatur (20-25 Grad) in der Originalpackung (Schutz vor Feuchtigkeit) aufzubewahren.

Dosierung

Delavirdin wird zusammen mit Nukleosidanaloga RT-Hemmern in einer Dosierung von 3 x 400 mg pro Tag (3 x 4 Tabletten zu 100 mg) unabhängig von einer Mahlzeit eingenommen. Die Substanz kann auch in Wasser gelöst (4 Tabletten in mindestens 1 dl Wasser) werden. Antazida (Alucol u.a.) oder ddI verringern die Aufnahme von Delavirdin; diese sollten deshalb frühestens 1 Stunde nach Delavirdin eingenommen werden.
Wird Delavirdin zusammen mit einem Protease-Inhibitor eingenommen, ist infolge möglicher Wechselwirkungen mit diesen Substanzen unter Umständen eine andere Dosierung angezeigt.

Kommentar

Der Effekt von Delavirdin in der Studie Studien ACTG 261 muss - wohlwollend beurteilt - als bescheidenen beurteilt werden. Im Gegensatz dazu war der Effekt in der Studie 021 beindruckend. Unter der Kombination Delavirdin + AZT + 3TC erreichten 59% bzw. 47% einen viral load von <50 HIV-RNA-Kopien/ml - vergleichbar wie Nevirapin + AZT+ddI im INCAS Trial.

Ist der Einsatz eines NNRTI's geplant, müssen Delavirdin, Efavirenz und Nevirapin bezüglich ihrer Vor- und Nachteile miteinander verglichen werden.
Bis jetzt wurden lediglich Efavirenz und Nevirapin zusammen mit zwei NRTIs direkt gegen eine Dreierkombination mit einem PI und zwei NRTIs miteinander verglichen und führten zu virologisch ähnlichen Ergebnissen; Delavirdin muss diesen Test erst noch bestehen.

Vergleicht man - wissenschaftlich nicht korrekt - die 24-Wochen Ergebnisse der NNRTI-Arme der AZT+3TC-basierenden Studien BI-1046 (INCAS), DMP266-006 und 21-part II, dann scheint Efavirenz aktiver als Delavirdin und Nevirapin; vergleicht man jedoch mit der Studie DMP266-005, dann finden sich finden sich in allen Studien ähnliche Ergebnisse einem viral load <50 RNA-Kopien/ml bei 45-47% der Behandelten.

Delavirdin hebt als Folge von Wechselwirkungen die Blutkonzentrationen von Protease-Inhibitoren an; Nevirapin senkt sie, was in vermindertem Ausmass auch für Efavirenz gilt.  Nevirapin senkt die Blutkonzentrationen von Methadon, Delavirdin wahrscheinlich nicht; Daten für Efavirenz sind ausstehend. Nevirapin gelangt ins ZNS; für Delavirdin fehlen entsprechende Daten. NNRTIs verursachen häufig einen Hautausschlag; bei Delavirdin ist er meistens mild und die Therapie kann praktisch immer ohne Unterbruch fortgesetzt werden.

Das Absinken der Cholesterin- und Triglyzeridwerte nach einem Wechsel von einem Proteaseinhibitor auf Nevirapin spricht für diese Substanz. Vergleichbare Daten gibt es weder für Efavirenz noch für Delavirdin; mit Efavirenz behandelte TeilnehmerInnen der Studie DMP266-006 zeigten einen Anstieg der Cholesterinwerte, wenn auch weniger ausgeprägt als die mit Indinavir behandelten.
Wichtigster Nachteil von Delavirdin: Die Tagesdosis beträgt zur Zeit 12 Tabletten und die Einnahme erfolgt dreimal pro Tag; bei Nevirapin sind es 2 x 1 Tablette bzw. 1 x 2 Tabletten pro Tag und bei Efavirenz 1 x 1 Tablette pro Tag.
Zwischen Delavirdin und Nevirapin besteht eine 100%ige Kreuzresistenz; d.h. gegen Viren, die auf die eine Substanz unempfindlich geworden sind nützt auch die andere Substanz nichts mehr. Eine verminderte Empfindlichkeit von Delavirdin- oder Nevirapin vorbehandelten Viren besteht auch gegenüber verschiedenen weiteren NNRTI's in Entwicklung (vgl. Efavirenz).

Delavirdin soll nur im Rahmen einer potenten Kombinationsbehandlung eingesetzt werden mit der die Virusvermehrung (weitgehend) gestoppt werden kann. Wenn keine (sehr wenige) neue Viren entstehen, entstehen auch keine (nur selten) resistente Viren.
 

Literatur

·  S. Green, MF. Para, PW Daly, et al. Interim analysis of plasma viral burdon reductions and CD4+ invreases in HIV-infected patients with Rescriptor (DLV) + Retrovir (ZDV) + Epivir (3TC). 12th World AIDS Conference, Geneva, Switzerland, 1998, Abstract 12219.

·  R. Wood, DA. Hawkins, G. Moyle, W. De Cian, A. Ingrosso, C. Greenwald. Second Placebo-Controlled Study in Naive Individuals Confirms the Role of Delavirdine in Higly Active Antiretroviral, Protease-Sparing Treatment. 6th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections. Chicago 1999, Abstract 624.


Last update 10.04.2007