Maraviroc (UK-427,857, Celsentri® / Selzentry)

Einleitung

Maraviroc (MVR, wahrscheinlicher Handelsname in Europa Celsentri®, Handelsname in den USA Selzentry Hersteller: Pfizer) gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die CCR5-Antagonisten genannt werden. Weitere Substanzen dieser Klasse in Entwicklung sind Apalaviroc und Vicriviroc. CCR5-Antagonisten gehören zusammen mit den Attachmentinhibitoren, den CXR4-Antagonisten und den Fusionshemmern zur Familie der Entryinhibitoren, die das Virus in seinem Entwicklungszyklus ausserhalb der Zelle hemmen. Maraviroc bindet allosterisch an die CCR5-Rezeptoren und verändert deren Design. Dies führt dazu, dass sie von HIV-Stämmen, die - nebst dem Hauptrezeptor CD4 - lediglich den Korezeptor CCR5 zum Eintritt in eine Wirtszelle benötigen, nicht mehr erkannt bzw. benutzt werden können. Dies bedeutet, dass neue Zellen vor einer Infektion mit R5-Viren (solche die lediglich CCR5 als Korezeptor benutzen) geschützt und weitere Infektionszyklen verhindert werden.

Maraviroc wurde in des USA am 06.08.2007 und in der EU am 24.09.2007 zugelassen zur Behandlung von Patienten mit vorgängigem Therapieversagen. In der Schweiz wurde die Substanz am 25.01.2008 von der Swissmedic zugelassen und ab dem 01.02.2008 kassenpflichtig. Der Tropismustest wird ab dem 01.02.2008 als Pflichtleistung vergütet. In der EU und den USA wurde Maraviroc im Herbst 2009 auch zur Ersttherapie zugelassen. 

CCR5-Antagonisten werden immer in Kombination, vorzugsweise zwei Nukleosidanalogen RT-Hemmern eingesetzt.  Im Idealfall handelt es sich um drei neue Substanzen, mit denen eine Person noch nie zuvor behandelt wurde. Bei vorbehandelten Personen ist dies nicht immer möglich. In diesem Fall sollte ein Therapiewechsel mindestens zwei neue Substanzen ohne Kreuzresistenz umfassen mit denen die Person noch nie zuvor behandelt wurde. Die Zugabe lediglich einer neuen Substanz zu einer unbefriedigenden Therapie führt zur Entwickung von Resistenzen und ist zum Scheitern verurteilt.

Resultate von Studien

In zwei Phase I Studien erhielten insgesamt 63 Menschen mit einer HIV-Infektion Maraviroc während 10 Tagen als Monotherapie in einer Dosierung von 1x 25mg/d bis 2x 300mg/d. Bei allen PatientInnen, die Maraviroc in einer Dosierung von 200-600mg/d erhielten, sank der viral load im Mittel um 1.6 bzw. 1.84log.

In den Phase IIB/III Studien Motivate 1 und 2 (identisches Studiendesign, unterschiedliche Studienorte) wurden 585 bzw. 464 PatientInnen mit einem virologischen Therapieversagen und lediglich R5-Viren [der Nachweis von R4-Viren oder mixed tropic Viren war ein Ausschlusskriterium] mit einer nach genotypischer Resistenztestung optimierten antiretroviralen Therapie [= optimierte Base-line-Therapie (OBT). Randomisiert erhielten sie zusätzlich Placebo oder ein (QD) bzw. zweimal (BID)  täglich. Maroviroc. Zur OBT gehörten 3-6 antiretrovirale Medikamente, mit bzw. ohne niedrig dosiertem Ritonavir. Der primäre Endpunkt war die mittlere Senkung der HIV-1-RNA vom Ausgangswert gegenüber Woche 24.  
In Motivate-1 betrug die Reduktion des viral load in der OBT + Placebo-Gruppe -1.03 log (~Faktor 10), in der OBT + Maroviroc-QD Gruppe -1.82 log (~Faktor 100) und in der OBT + Maroviroc-BID Gruppe -1.95 (~Faktor 100), bzw. 24.6%. 42.2% und 48.5% der StudienteilnehmerInnen hatten einen viral load < 50 HIV1-RNA-Kopien/ml und die CD4-Zellen waren um 52, 107 und 111 Zellen/ul angestiegen. Die Nebenwirkungen in den OBT + Maroviroc-Gruppen waren nicht unterschieldich zu denjenigen in der OBT + Placebo Gruppe.
In Motivate-2 betrug die Reduktion des viral load in der OBT + Placebo-Gruppe -0.93 log (~Faktor 10), in der OBT + Maroviroc-QD Gruppe -1.95 log (~Faktor 100) und in der OBT + Maroviroc-BID Gruppe -1.97 (~Faktor 100), bzw. 20.9%. 45.6% und 40.8% der StudienteilnehmerInnen hatten einen viral load < 40 HIV1- RNA-Kopien/ml und die CD4-Zellen waren um 64, 112 und 102 Zellen/ul angestiegen.  Die Nebenwirkungen in den OBT + Maroviroc-Gruppen waren nicht unterschieldich zu denjenigen in der OBT + Placebo Gruppe.

Nach 48 Wochen betrug in Motivate-1 die Reduktion des viral load in der OBT + Placebo-Gruppe -.80 log (~Faktor <10), in der OBT + Maroviroc-QD Gruppe -1.66 log (~Faktor 100) und in der OBT + Maroviroc-BID Gruppe -1.82 (~Faktor 100), bzw. 16.1%. 41.8% und 46.8% der StudienteilnehmerInnen hatten einen viral load < 50 HIV1-RNA-Kopien/ml. 

In der Phase IIB/III Studie Merit werden 721 bisher unbehandelte PatientInnen mit lediglich R5-Viren [der Nachweis von R4-Viren oder mixed tropic Viren war ein Ausschlusskriterium] während 96 Wochen doppelblind entweder mit Maraviroc 2x 300mg/d plus Combivir® oder Efavirenz plus Combivir® behandelt, nachdem ein dritter Behandlungsarm mit Maraviroc 1x 600mg/d plus Combivir® vom DSMB wegen unterlegener Wirksamkeit vorzeitig gestoppt worden war. Nach 48 Behandlungswochen zeigte sich, das Maraviroc im Vergleich zu Efavirenz  bezüglich dem primären Endpunkt (HIV-RNA < 400 Kopien/ml) nicht weniger wirksam ist (70.6% vs 73.1%); wohl aber bezüglich dem Endpunkt <50 HIV-1 RNA-Kopien/ml (65.3% vs 69.3%). Der Anstieg der CD4-Zellen unter Maraviroc betrug 170 Zellen/ul und unter EVF 144 Zellen/ul. 26.9 bzw. 25.2% der Studienteilnehmerinnen brachen die Studie vorzeitig ab; in der Maroviroc-Gruppe mehr wegen ungenügender Wirksamkeit  (11.9% vs 4.3%), in der EFV-Gruppe mehr wegen Nebenwirkungen (4.2% vs 13.6%).

Resistenz

Maraviroc ist lediglich wirksam gegen Viren, die als Korezeptor ausschliesslich das CCR5-Molekül benutzen (R5-Viren).  Keine Wirkung zu erwarten ist gegen Viren die als Korezeptor CXR4 benutzen; wenig Wirkung - wenn überhaupt - ist zu erwarten gegen sogenannt dualtrope Viren, d.h. solche, die als Korezeptor sowohl CCR als auch CXR4 benutzen können. Vor dem Einsatz von Maraviroc muss deshalb der Korezeptor-Tropismus des Virus bestimmt werden.

Nebenwirkungen

In insgesamt 6 Phase I bis IIa Studien erhielten bisher 259 Menschen mit oder ohne HIV-Infektion Maraviroc in einer Dosierung von 2x 3mg/d bis 1x 1200mg/d über 7-28 Tage. Bis zu einer Dosierung von 2x 300mg/d waren die Nebenwikrungen mit denen von Placebo vergleichbar; dies gilt auch für die Phase IIB/III, an denen 1000 PatientInnen teilnahmen. Berichtet wurde über Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Müdiglkeit und Blähungen. Diese Beschwerden waren aber nicht häufiger oder schwerer als bei denjenigen Personen, die Placebo erhlielten.
In klinischen Studien wurden im Vergleich zu Plazebo mehr kardiovaskuläre Ereignisse inkl. Angina pectoris und/oder Herzinfarkte beobachtet. Maraviroc soll bei PatientInnen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko mit Vorsicht eingesetzt werden.

Interaktionen

Maraviroc, die andern CCR5-Antagonisten in Entwicklung, Proteaseinhibitoren und die Nicht-Nukleosidanloga RT-Hemmer werden in der Leber über das Cytochrom P450-System abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, sogenannte Interaktionen, sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese dasselbe Enzymsystem benutzen. Das Resultat dieser Wechselwirkungen sind häufig zu hohe oder zu niedrige Blutspiegel von Maraviroc und/oder der anderen eingenommenen Substanz. Zu hohe Blutspiegel führen unter Umständen zu Nebenwirkungen, zu tiefe Blutspiegel zum Verlust der Wirksamkeit. Weitere Informationen.

Lagerungsvorschriften

Die Substanz ist bisher nicht im Handel erhältlich. 

Dosierung

Maraviroc wird wird - basierend auf dem CYP3A-Interaktionspotential der Begleitmedikation - in einer Dosierung von 2x 150 - 600mg/d eingenommen. 

Kommentar

Einerseits dürfte Maraviroc als Vertreter einer neue Substanzklasse (und damit ohne Kreuzresistenzen mit den bekannten Medikamenten), verabreicht mit noch wirksamen Medikamenten aus den bekannten Substanzklassen, für PatientInnen mit multiplen Vorbehandlungen eine valable Optionen für eine Salvage-Therapie darstellen; andererseits dürfte die Substanz nicht zuletzt aufgrund ihrer guten Verträglichkeit auch für bisher unbehandelte PatientInnen in Frage kommen. CCR5-trope Viren finden sich allrdings vor allem bei PatientInnen mit relativ kurz zurückliegendem Infektionszeitpunkt; R4- oder dualtrope (R4/R5) Viren hingegen vor allem bei PatientInnen mit bereits lange anhaltender Krankheit.
Nachteile von CCR5-Antagonisten sind sicher ihre auf R5-Viren beschränkte Wirksamkeit - und damit die Notwendigkeit der Durchführung eines weiteren "Resistenz"-Tests und damit verbunden die Abhängigkeit des Therapieerfolgs von der Qualität dieses Tests. 
CCR5-Rezeptorantagonisten - als bisher einzige Wirkstoffklasse - blockeren ein körpereigenes Eiweiss (CCR5) indem sie Nahe an der Virusandockstelle binden und das Aussehen der Virusandockstelle verändern. Eine Resistenzentwicklung ist deshalb einerseits möglich auf der Basis eines Co-Rezeptor-Switches (von CCR5 auf CXR4) und andererseits auf der Basis viraler Mutationen, die dazu führen, dass das Virus nunmehr die veränderte Virusandockstelle erkennt. Grundvoraussetzung für beide Arten der Resistenzentwicklung ist eine anhaltende Virusvermehrung und das einzige Mittel dagegen eine vollständiger Stop der Virusvermehrung!
In klinischen Studien wurden im Vergleich zu Plazebo mehr kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet. Maraviroc soll bei PatientInnen mit kardiovaskulären Risikofaktoren (St.n. Myokardinfarkt, Angina pectoris; familiäre Belastung, Nikotinabusus, Diabetes, Hypertonie, Adipositas, Hypercholesterinämie) derzeit nur mit Vorsicht eingesetzt werden.

Literatur

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Last update 12.10.2009