Nelfinavir (Viracept®)

 

Einleitung

Nelfinavir (NFV, AG-1343, Handelsname Viracept®, Hersteller Agouron, Vertrieb in Europa: Roche) gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Protease-Inhibitoren genannt werden. Weitere Medikamente dieser Klasse sind Amprenavir, Atazanavir, Indinavir, Lopinavir, Ritonavir und Saquinavir. Die Wirkungsweise dieser Substanzen besteht in der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der HIV-Protease. Die Blockierung dieser "Eiweiss-Schere" führt zu unreifen, nicht-infektiösen Viren, d.h. sie können keine weiteren Zellen mehr infizieren. Protease Inhibitoren verhindern deshalb bei HIV-infinzierten Personen neue Infektionszyklen. Zwischen den einzelnen Proteaseinhibitoren besteht eine weitgehende Kreuzresistenz; d.h. gegen Viren, die auf die eine Substanz unempfindlich geworden sind nützen auch die anderen Medikamente dieser Substanzklasse nichts mehr, oder zumindest nicht mehr zuverlässig.

Nelfinavir ist in den USA, der EU zugelassen zur Kombinationstherapie der HIV-Infektion des Erwachsenen wenn eine Behandlung angezeigt ist; die Substanz ist ebenfalls zugelassen für die Behandlung von Kindern mit HIV/Aids. 
In der Schweiz ist die Substanz (nach einem Unterbruch infolge Qualitätsmangel vom 21.06.2007 - 19.10.2007 bzw. - 01.09.2008) ebenfalls zugelassen, wird jedoch per August 2013  infolge wirksamerer Alternativen vom Markt genommen werden.

Protease Inhibitoren werden vorzugsweise zusammen mit zwei Nukleosidanaloga RT-Hemmern eingesetzt. Im Idealfall handelt es sich um drei neue Substanzen, mit denen eine Person noch nie zuvor behandelt wurde. Bei vorbehandelten Personen ist dies nicht immer möglich. In diesem Fall sollte ein Therapiewechsel mindestens zwei neue Substanzen ohne Kreuzresistenz umfassen mit denen die Person noch nie zuvor behandelt wurde. Die Zugabe lediglich einer neuen Substanz zu einer unbefriedigenden Therapie führt zur Entwickung von Resistenzen und ist zum Scheitern verurteilt.

Resultate von Studien

Resultate einer Nelfinavir-Studie mit klinischen Endpunkten sind nicht bekannt.

In der Studie 511 wurden 308 nie oder weniger als ein Monat mit AZT vorbehandelte 308 Personen, mit im Mittel ca. 280 CD4-Zellen/ul und einem viral load von ca. 65'000 HIV-RNA-Kopien/ml entweder mit einer Dreierkombination bestehend aus Nelfinavir + AZT + 3TC oder mit der Zweierkombination AZT + 3TC behandelt. Nelfinavir wurde in einer Dosierung entweder von 3 x 750 mg pro Tag oder von 3 x 500 mg pro Tag verabreicht. Nach sechs Behandlunsgmonaten fand sich bei den Patienten unter der Dreierkombination eine mittlere Reduktion des viral loads um mehr als 99%. 2/3 der Patienten unter der höheren, gut die Hälfte der Patienten unter der tieferen Nelfinavir-Dosierung und 6% der Patienten unter der Zweierkombination hatten einen nicht mehr nachweisbaren viral load. Die untere Nachweisgrenze des verwendeten Tests betrug 200 RNA-Kopien/ml. Der entsprechende Anstieg der CD4-Zellen betrug 160, 155 und 105 Zellen/ul.

In der modifizierten Studie Nelfinavirstudie1 wurden weder mit einem Protease Inhibitor noch mit d4T und 3TC vorbehandelte Menschen mit einem initialen viral load von 5 log RNA-Kopien/ml (100'000) und CD4-Werten von 250-275 Zellen/ul mit d4T + 3TC + Nelfinavir behandelt. 76 erhielten Nelfinavir dreimal täglich (3 x 750 mg/d) und 212 erhielten die Substanz zweimal pro Tag (2 x 1250 mg/d). Eine Zwischenanalyse nach 48 Wochen zeigt bei je etwa 65% der Patienten (21/30 bzw. 55/85) einen viral load von <50 HIV-RNA-Kopien/ml. Die Daten nach 98 Wochen2 zeigt nachfolgende Graphik.

 

In der Studie M98-863 wurden 653 bisher unbehandelte PatientInnen mit einem viral load von 80‘000 HIV.1 RNA-Kopien/ml und 259 CD4-Zellen/mm3 doppelblind entweder mit Lopinavir/r (2 x 400/100mg/d) oder Nelfinavir (3x 750mg/d bzw. 2 x 1250mg/d) zusammen mit Stavudin/Lamivudin (d4T, Zerit®/3TC, 3TC®) behandelt. Nach 60 Wochen wiesen 64 bzw. 52% der StudienteilnehmerInnen einen viral load < 50 HIV-1 RNA-Kopien auf. Der CD4-Zellanstieg in der Lopinavir/r-Gruppe betrug im Mittel 265 und in der Nelfinavir-Gruppe 198 Zellen/mm3.
 

Resistenz

Die Schlüsselmutation ist am Codon 30, eine Veränderung am Erbgut, die unter der Behandlung mit anderen Proteaseinhibitoren nicht beobachtet wird. Die (wahrscheinlich rasch) nachfolgenden Mutationen an den Positionen 36, 46, 63, 71, 77, 88, 90 u.a. sind jedoch teilweise dieselben wie sie auch unter der Behandlung mit anderen Proteaseinhibitreon beobachtet werden.

Nebenwirkungen

Die häufigsten beobachtete Nebenwirkung ist Durchfall. Dieser ist in der Regel leicht oder lässt sich durch stopfende Mittel beherrschen und führt nur selten zum Behandlungsabbruch.

Interaktionen

Nelfinavir, die anderen Proteaseinhibitoren und die Nicht-Nukleosidanloga RT-Hemmer werden in der Leber über das Cytochrom P450-System abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, sogenannte Interaktionen, sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese dasselbe Enzymsystem benutzen. Das Resultat dieser Wechselwirkungen sind häufig zu hohe oder zu niedrige Blutspiegel von Nelfinavir und/oder der anderen eingenommenen Substanz. Zu hohe Blutspiegel führen unter Umständen zu Nebenwirkungen, zu tiefe Blutspiegel zum Verlust der Wirksamkeit.
Nelfinavir sollte nicht zusammen mit folgenden Substanzen eingenommen werden: Astemizol, Cisaprid, Midazolam, Rifampicin, Terfenadin, Triazolam, Magensäureblockern.
Eine Übersicht - gegliedert nach therapeutischen Gruppen - über die wichtigsten Substanzen deren gleichzeitige Einnahme mit Nelfinavir zu bedeutsamen Wechselwirkungen führt findet sich in der Tabelle Interaktionen mit antiretroviralen Medikamenten.

Lagerungsvorschriften

Nelfinavir ist erhältlich als Tabletten und sollte bei Zimmertemperatur in der Originalflasche aufbewahrt werden.

Dosierung

Nelfinavir wird zusammen mit Nukleosidanaloga RT-Hemmern in einer Dosierung von 2 x 1250 mg/d [2 x 5 Tabeltten à 250 mg oder 2 x 2 Tabletten à 625mg - bisher (Stand Oktober  2004) in der Schweiz nicht eingeführt - oder 3 x 750 mg pro Tag [3 x 3 Tabeltten à 250 mg] zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen. Bei Kindern unter 13 Jahren beträgt die Dosierung 3 x 20-30mg/kg pro Tag. Wird Nelfinavir zusammen mit Nicht-nukleosidanalogen RT-Hemmern oder anderen Protease-Inhibitoren eingenommen, ist infolge möglicher Wechselwirkungen mit diesen Substanzen unter Umständen eine andere Dosierung angezeigt.

Kommentar

Gemessen am Abfall des viral loads und am Anstieg der CD4-Zellen zeigt die Studie AG 1342-511, dass von Nelfinavir eine vergleichbare Wirkung wie von Indinavir (Crixivan) oder Ritonavir (Norvir) erwartet werden kann. Im direkten Vergleich mit Lopinavir/r (Studie M98-863) wiesen nach 48 Wochen - bei nicht unterschiedlichem Anstieg der CD4-Zellen - jedoch signifikant weniger PatientInnen einen nicht nachweisbaren viral load auf.

Infolge von Kreuzresistenzen profitieren lediglich wenige Patienten von einem Wechsel auf eine Kombination mit Nelfinavir, wenn sie zuvor bereits erfolglos mit einem anderen Proteaseinhibitor behandelt wurden.

Umgekehrt zeigen Laboruntersuchungen, dass eine phänotypische Resistenz (verminderte Empfindlichkeit) gegen Nelfinavir oft (aber leider nicht immer) mit einer Mutation an Position 30 einhergeht - einer Veränderung im Viruserbgut, die bei anderen Proteaseinhibitoren nicht beobachtet wurde. Laboruntersuche zeigen, dass diese Viren immer noch auf andere Proteaseinhibitoren empfindlich sind.

Das Ansprechen im Reagenzglas lässt jedoch grundsätzlich die Frage offen, ob ein Patient, bei dem eine Nelfinavir enthaltende Kombinationstherapie versagt, vom Einsatz eines anderen Proteaseinhibitors profitiert. Klinische Studien zeigen denn auch, dass der Einsatz von Nelfinavir als dem ersten Proteaseinhibitor im Falle eines Therapieversagens zukünftige Therapie-Optionen beeinträchtigt. Das Ausmass ist jedoch möglicherweise geringer, als es bei den anderen Proteasehemmern beobachtet wird. 

Gemäss den DHHS und anderer Guidelines gehört Viracept infolge geringerer Wirksamkeit als mit Ritonavir boostbare Proteasehemmer nicht zu den bevorzugten Komponenten einer antiretroviralen Therapie.  

Nach einem temporären Rückruf aller Chargen von Viracept® infolge Qualitätsmangel ist die Substanz nun wieder wieder registriert. Dass die Substanz hingegen je wieder eine grössere Bedeutung erlangt erwartet wohl niemand. Bei bisher unbehandelten PatientInnen wird heutzutage eine Therapie nicht mehr mit Viracept® begonnen und PatientInnen, deren Therapie erfolgreich von Viracept® auf einen Ritonavir-geboosteten Proteaseinhibitor umgestellt wurde, dürften kaum auf Viracept® zurückkehren.

Literatur

·  Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Fachinformation

·  A. Peterson, M. Johnson, M. Nelson, et al. Long-Term Compasrison of BID and TID Dosing of Nelfinavir (NFV) in Combination with Stavudine (d4T) and Lamivudine (3TC) in HIV Patients. 12th World AIDS Conference, Geneva, Switzerland, 1998, Abstract

·  F.D. Goebel, F. Antunes, K.N. Arasteh, et al. A comparison of the long-term antiviral efficacy of BID and TID dosing of nelfinavir in combination with stavudine (d4T) and  lamivudine (3TC) up to 96 Weeks. 13th World AIDS Conference, Durban, South Africa, 2000

 

Last update 01.09.2008