Saquinavir (Invirase®)

    Einleitung

    Saquinavir (SQV, Ro 31-8959, Handelsname Invirase® früher auch erhältlich als Fortovase®, Hersteller Roche) gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Protease-Inhibitoren werden. Weitere Substanzen dieser Klasse sind Amprenavir, Atazanavir, Darunavir, Indinavir, Lopinavir, Nelfinavir, Ritonavir und Tipranavir. Die Wirkungsweise dieser Substanzen besteht in der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der HIV-Protease. Die Blockierung dieser "Eiweiss-Schere" führt zu unreifen, nicht-infektiösen Viren, d.h. sie können keine weiteren Zellen mehr infizieren. Protease Inhibitoren verhindern deshalb bei HIV-infinzierten Personen neue Infektionszyklen. Zwischen den einzelnen Proteaseinhibitoren besteht eine weitgehende Kreuzresistenz; d.h. gegen Viren, die auf die eine Substanz unempfindlich geworden sind nützen auch die anderen Medikamente dieser Substanzklasse nichts mehr, oder zumindest nicht mehr zuverlässig.

    In der Schweiz ist Saquinavir unter den Handelsnamen  Invirase®  zugelassen zur Kombinationstherapie der HIV-Infektion des Erwachsenen wenn eine Behandlung angezeigt ist. 

    Protease Inhibitoren werden vorzugsweise zusammen mit zwei Nukleosidanaloga RT-Hemmern eingesetzt. Im Idealfall handelt es sich um drei neue Substanzen, mit denen eine Person noch nie zuvor behandelt wurde. Bei vorbehandelten Personen ist dies nicht immer möglich. In diesem Fall sollte ein Therapiewechsel mindestens zwei neue Substanzen ohne Kreuzresistenz umfassen mit denen die Person noch nie zuvor behandelt wurde. Die Zugabe lediglich einer neuen Substanz zu einer unbefriedigenden Therapie führt zur Entwickung von Resistenzen und ist zum Scheitern verurteilt.

    Resultate von Studien

    In der Studie NV 14256 wurden 978 Patienten, die mindestens seit einem Jahr mit AZT vorbehandelt waren entweder mit Saquinavir (Invirase) + AZT oder mit einer Monotherapie, entweder mit Saquinavir oder mit ddC, weiterbehandelt. Die Kombination reduzierte das Todesrisiko um 2/3; in der ddC-Gruppe verstarben 28, in der Saquinavir-Gruppe 34 und in der Kombinationsgruppe 9 Personen.

    In einer in den USA und Canada durchgeführten Studie1 wurden 139 bisher nicht mit Protease-Inhibitoren behandelte Patienten mit einem viral load von ca. 100'000 RNA-Kopien/ml und im Mittel 275 CD4 Zellen/ul prospektiv mit einer von vier verschiedenen Dosierungen von Ritonavir und Saquinavir (Invirase) behandelt. Nach 48 Behandlungswochen erhielten alle Patienten Ritonavir 2 x 400mg/d und Saquinavir 2 x 400mg/d. Bei virologischem Therapieversagen war eine Therapie-Intensivierung erlaubt (Definition: Fehlender Abfall des viral loads auf <200 HIV-RNA-Kopien/ml nach 12 Behandlungswochen oder Wiederanstig des viral loads über diesen Wert).
    Nach 72 Behandlungswochen hatten 90% der Patienten einen viral load <200 HIV-RNA-Kopien/ml [Graphik] und der mediane Anstieg der CD4-Zellen betrug 185 Zellen/ul, unabhängig vom initialen Behandlungsregime. 27 Patienten erhielten wegen eines virologischen Therapieversagens eine Therapie-Intensivierung, meistens d4T + 3TC; 21/27 hatten nach 72 Wochen einen viral load <200 RNA-Kopien/ml.

    In der schweizerischen Studie M610012 erhielten bisher unbehandelte Patienten offen Ritonavir (2 x 400-600mg/d), Saquinavir (Invirase) (2 x 400-600mg/d) und d4T (2 x 30-40mg/d). Bei 56 Patienten mit einem viral laod von etwa 100'000 RNA-Kopien/ml und im Mittel etwa 80 CD4-Zellen/ul fand sich nach 9 Behandlungswochen ein Abfall des viral loads um 2.7 log. Die meisten Patienten erhielten aus Verträglichkeitsgründen Ritonavir 2 x 400mg/d.
    Saquinavir-Blutspiegel, gemessen bei 16 Patienten, waren im Mittel 46 mal x höher (Streubereich 10-100) als sie nach der Einnahme von "Invirase" allein erwartet werden.

    In der Studie MaxCmin 1 wurden 306 bisher unbehandelte Patienten mit einem viral load von ca. 10'000 RNA-Kopien/ml und im Mittel 275 CD4 Zellen/ul prospektiv offen entweder mit Saquinavir Weichgelatinekapseln/Ritonavir (1000/100 mg zweimal täglich) oder mit  Indinavir/Ritonavir (800/100 mg zweimal täglich) plus 2 NRTIs/NNRTIs behandelt. Nach 48 Behandlungswochen betrug der Anteil der Patienten mit einer Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze (<50 Kopien/ml) 57% bzw. 47% und die Zunahme der medianen CD4-Zellzahl 85 Zellen/mm³ bzw. 73 Zellen. Ein grösserer Anteil an Patienten aus dem Indinavir/Ritonavir Arm als aus dem Saquinavir/Ritonavir Arm wechselte die Behandlung nach randomisierter Zuteilung (40% gegenüber 27%; p= 0,01). 
    In der Studie MaxCmin 2 wurden 324 zum Teil vorbehandelte PatientInnen mit einem viral load von über 10'000 RNA-Kopien/ml und im Mittel 241 CD4 Zellen/ul prospektiv offen entweder mit Saquinavir Weichgelatinekapseln/Ritonavir (1000/100 mg zweimal täglich) oder mit  Lopinavir/Ritonavir (400/100 mg zweimal täglich) plus 2 NRTIs/NNRTIs behandelt.
    Die Inzidenz des virologischen Therapieversagens (der primäre Studienendpunkt) war unter Saquinavir/Ritonavir höher als unter Lopinavir/Ritonavir: 29 Therapieversager wurden im Lopinavir/Ritonavir und 53 im Saquinavir/Ritonavir-Arm beobachtet (Hazard Ratio: 0,5; 95%-K.I. 0,3–0,8). Nach 48 Behandlungswochen betrug der Anteil an Patienten mit HIV-RNA unterhalb der Nachweisgrenze (<50 Kopien/ml) jedoch 53% bzw.  60% (p=ns) und die Zunahme der medianen CD4-Zellzahl 106 Zellen/mm³ bzw. 110 Zellen. Unter Saquinavir/Ritonavir kam es zu mehr 30% vs 14% Behandlungsabbrüchen wegen Nebenwirkungen und auf Wunsch der Studienteilnehmer. Bezüglich schwerwiegenden Nebenwirkungen (Grad 3/4) fanden sich keine Unterschiede.

    In der Geministudie werden 337 bisher unbehandelte PatientInnen mit einem viral load um 100'000 RNA-Kopien/ml und im Mittel 130 CD4 Zellen/ul prospektiv offen während 48 Wochen entweder mit Saquinavir-HG/Ritonavir (1000/100 mg zweimal täglich) oder mit  Lopinavir/Ritonavir (400/100 mg zweimal täglich) plus Tenofovir + Emtricitabin (Truvada®) behandelt. Der Anteil der StudienteilnehmerInnen mit einem viral load <50 RNA-Kopien/ml betrug 64.7% bzw. 63.5% und der Anstieg der CD4 Zellen 178 bzw. 204/mm³.  Mit  SQV/r behandelte StudienteilnehmerInnen zeigten einen geringeren Anstieg der Trigylzeride und tendeziell weniger Diarrhoe; die Cholesterin-Konzentrationen waren hingegen nicht unterschiedlich.

    Resistenz

    Schlüsselmutationen einer Resistenzentwicklung gegen Saquinavir sind die Mutationen an den Positionen 48 und 90; weitere Mutationen werden an den Positionen 10, 36, 54, 63, 71, 82 und 84 beobachtet.

    Nebenwirkungen

    Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Bauchbeschwerden und Durchfall. Wird Saquinavir zusammen mit Ritonavir eingenommen wird bei höheren Dosierungen vor allem bei Patienten mit einer chronischen viralen Hepatitis eine Erhöhung der Leberenzyme beobachtet.

    Interaktionen

    Saquinavir, die anderen Proteaseinhibitoren und die Nicht-Nukleosidanloga RT-Hemmer werden in der Leber über das Cytochrom P450-System abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, sogenannte Interaktionen, sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese dasselbe Enzymsystem benutzen. Das Resultat dieser Wechselwirkungen sind häufig zu hohe oder zu niedrige Blutspiegel von Saquinavir und/oder der anderen eingenommenen Substanz. Zu hohe Blutspiegel führen unter Umständen zu Nebenwirkungen, zu tiefe Blutspiegel zum Verlust der Wirksamkeit.
    Saquinavir sollte nicht zusammen mit folgenden Substanzen eingenommen werden: Astemizol, Cisaprid, Rifampicin, Rifabutin, Terfenadin.
    Eine Übersicht - gegliedert nach therapeutischen Gruppen - über die wichtigsten Substanzen deren gleichzeitige Einnahme mit Saquinavir zu bedeutsamen Wechselwirkungen führt findet sich in der Tabelle Interaktionen mit antiretroviralen Medikamenten.

    Lagerungsvorschriften

    Saquinavir ist erhältlich als Kapseln à 200 und Filmtabletten à 500mg und sollte bei Zimmertemperatur (unter 30 Grad Celsius) und vor Feuchtigkeit geschützt (in der Originalflasche) aufbewahrt werden.

    Dosierung

Saquinavir wird immer zusammen mit Ritonavir [und Nukleosidanaloga RT-Hemmern] eingenommen. ("geboostet"),  Die Dosierung Ritonavir/Saquinavir bei zuvor unbehandelten PatientInnen beträgt 2 x 100/1000 (2 x 1 Filmtablette Ritonavir à 100mg + 2 x 2 Filmtabletten Saquinavir à 500mg) pro Tag zusammen mit einer Mahlzeit bzw innerhalb von 2 Stunden nach einer Mahlzeit. 
Wird Saquinavir zusammen mit Nicht-nukleosidanalogen RT-Hemmern oder anderen Protease-Inhibitoren eingenommen, ist infolge von  Wechselwirkungen mit diesen Substanzen eine andere Dosierung angezeigt.


    Kommentar

    Aus historischer Sicht zeigte die Studie NV14256 erstens, dass der Wechsel auf eine Zweier-Kombination wirksamer ist als der Wechsel von einer Monotherapie zur andern und zweitens, dass Saquinavir als "Invirase" allein zumindest nicht wesentlich wirksamer ist als eine ddC-Monotherapie. Die Reduktion der Letalität um 2/3 war eindrücklich. Man muss sich dabei jedoch vor Augen halten, dass diese auf dem Vergleich mit einer Monotherapie beruhte, einer Behandlungsform die zumindest bei Abschluss der Studie bereits nicht mehr dem Standard entsprach.

    Heutzutage wird Saquinavir zusammen mit einer kleinen Dosis Ritonavir eingesetzt. Dieses blockiert den Abbau von Saquinavir im Darmepithel und in der Leber. Dadurch können - ähnlich wie bei den Kombination [Ritonavir/Atazanavir, Ritonavir/Darunavir, Ritonavir/Fos-Amprenavir, Ritonavir/Indinavir, Ritonavir/Lopinavir, Ritonavir/Tipranavir] hohe Wirkstoffkonzentrationen der "geboosteten" Substanz erreicht werden. 

    Gemäss den akutellen DHHS Guidelines gehört Ritonavir/Saquinavir infolge geringerer dokumentierter Wirksamkeit als Kaletra® nicht zu den bevorzugten Komponenten eines Regimes für einen Therapiebeginn. 

     

    Literatur
     
    1. Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Fachinformation
    2. J. Mellors, AJ Japour, JW. Leonard, et al. Ritonavir (RTV)-saquinavir (SQV) in protease inhibitor-naive patients after 72 weeks. 12th World AIDS Conference, Geneva, Switzerland, 1998, Abstract 12295.
    3. M. Battegay, E. Bernasconi, M. Flepp, et al. A., Pilot Study of Saquinavir in Combination with Ritonavir and d4T in Patients with Advanced HIV Disease. 37th ICAAC, Toronto, Ontario, Canada, 1997, Abstract I203.
    4. Dragsted UB, Gerstoft J, Pedersen C, Peters B, Duran A, Obel N, Castagna A, Cahn P, Clumeck N, Bruun JN, Benetucci J, Hill A, Cassetti I, Vernazza P, Youle M, Fox Z, Lundgren JD; MaxCmin1 Trial Group. Randomized trial to evaluate indinavir/ritonavir versus saquinavir/ritonavir in human immunodeficiency virus type 1-infected patients: the MaxCmin1 Trial.
      J Infect Dis. 2003:;188:635-42.
    5. Dragsted UB, Gerstoft J, Youle M, Fox Z, Losso M, Benetucci J, Jayaweera DT, Rieger A, Bruun JN, Castagna A, Gazzard B, Walmsley S, Hill A, Lundgren JD; MaxCmin2 Trial Group. A randomized trial to evaluate lopinavir/ritonavir versus saquinavir/ritonavir in HIV-1-infected patients: the MaxCmin2 trial. Antivir Ther. 2005;10:735-43.
    6. Walmsley S, Ruxrungtham K, Slim J, et al. Saquinavir/r (SQV/r) BID vs lopinavir/r (LPV/r) BID plus emtricitabine/tenofovir (FTC/TDF) QD as initial therapy in HIV-1 infected patients: the GEMINI Study. 11th European Aids Conference/EACS, 24-27 October 2007, Madrid, Spain. Abstract PS1/4. 

     

    Last update 01.10.2010