Einleitung
Tenofovir Disoproxil Fumarat (TDF, BisPoc PMPA, Handelsname Viread®, Hersteller Gilead) ist eine Vorstufe von PMPA, die über den Verdauungstrakt aufgenommen werden kann und gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Nukleotid-Analoga RT-Hemmer (NtRTI) genannt werden. Eine weitere Substanz dieser Klasse ist PMEA/BisPom PMEA; wegen Nieren-schädigenden Nebenwirkungen wurde die Entwicklung jedoch eingestellt. NtRTI hemmen wie die NRTI das viruseigene Enzym "Reverse Transkriptase". Die Blockierung dieses Enzyms führt zum Abbruch der Übersetzung der genetischen Information des Virus von RNA in DNA. Dies bedeutet, dass neue Zellen vor einer Infektion geschützt und weitere Infektionszyklen verhindert werden. Im Gegensatz zu den Nukleosid-Analoga RT-Hemmer (NRTI) tragen die NtRTI bereits eine Phosphorgruppe und haben demzufolge, wenn sie in eine Zelle eintreten, den ersten von drei Aktivierungsschritten bereits hinter sich.
Tenofovir wurde in den USA am 26.10.2001 und in der EU anfangs Februar 2002 zugelassen. In der Schweiz wurde die Substanz im Dezember 2002 zugelassen und per 1.1.2003 kassenpflichtig.
Nukleotidanaloga RT-Hemmer werden immer in Kombination mit anderen antiretroviral aktiven Substanzen (Nukleosidanaloga RT-Hemmer, Nicht-Nukleosidanaloga RT-Hemmer, Protease-Inhibitoren) eingesetzt. Im Idealfall handelt es sich um drei neue Substanzen, mit denen eine Person noch nie zuvor behandelt wurde. Bei vorbehandelten Personen ist dies nicht immer möglich. In diesem Fall sollte ein Therapiewechsel mindestens zwei neue Substanzen ohne Kreuzresistenz umfassen mit denen die Peson noch nie zuvor behandelt wurde. Die Zugabe lediglich einer neuen Substanz zu einer unbefriedigenden Therapie führt zur Entwickung von Resistenzen und ist zum Scheitern verurteilt.
Resultate von Studien
PMPA ist im Reagenzglas
aktiv gegen HIV
und SIV (Affen-AIDS Virus) sowie gegen das
Hepatitis B Virus.
Achtung: Tenofovir ist nicht zur Behandlung einer chronischen
Hepatitis
B zugelassen: Vor dem Einsatz von Tenofovir sollten alle Patienten auf
das
Vorliegen einer chronischen Hepatitis B getestet werden. Die Sicherheit
von
Tenofovir bei Patienten mit einer HIV/HCV-Koinfektionwurde bisher nicht
in
grossen Studien untersucht. Beim Absetzen von Tenofovir bei Menschen
mit
einer HIV/HBV-Koinfektion wurden zum Teil berächjtliche Anstiege
der
Leberwerte festgestellt. Engmaschige Kontrolen der Leberwerte sind
angezeigt.
25 SIV-exponierte Affen wurden während 4 Wochen täglich PMPA gespritzt. Die Behandlung wurde entweder 48 Stunden vor, vier Stunden nach und 1 Tag nach dem Viruskontakt begonnen. Nach mehr als einem Jahr fand sich bei keinem der Affen Anzeichen für eine SIV-Infektion; im Gegensatz konnte bei 10/10 Kontrolltieren innert 3 Wochen eine Infektion nachgewiesen werden.
In einer Phase I Studie erhielten 10 Patienten mit einem viral load zwischen 20'-100'000 HIV-RNA Kopien/ml entweder Placebo, 1mg/kg oder 3mg/kg PMPA. Injektionen wurden am Tag 1, und daraufhin täglich an den Tagen 8-14 verabreicht. Die Gesamtbeobachtungsdauer betrug 42 Tage. Am Tag 4 fand sich eine Reduktion des viral loads um 0.3 log (Faktor 2); am Tag 14 unter der niedrigeren Dosis ein Reduktion um 0.6 log (Faktor 4) und unter der höheren Dosis um 1.1 log (Faktor 13). Am Tag 21 betrug die Reduktion des viral loads immer noch um 1 log, und am Tag 28 - 14 Tage nach der letzten Dosis - immer noch 0.5 log (Faktor 3). Die Plasmahalbwertszeit unter der niedrigeren Dosis betrug 4 , unter der höheren 7 Stunden; die intrazelluläre Halbswertzeit mehr als einen Tag.
In einer Doppelblindstudie 2 erhielten 189 PatientInnen mit durchschnittlich 4.5-jähriger Vorbehandlung und nachweisbarem viral load zusätzlich zu ihrer aktuellen Behandlung Plazebo oder TDF in einer Dosierung von 75, 150 oder 300 mg pro Tag; nach 24 Wochen erhielten alle - auch diejenigen, welche initial Placebo erhalten hatten - TDF 300mg pro Tag. Nach 48 Behandlungswochen betrug der Abfall des viral loads 0.7, 0.6, 0.4 und 0.7 log (Faktoren 5, 4, 2.5 und 5) und der Anstieg der CD4-Zellen 11, 16, 11 und 25 Zellen pro Mikroliter Blut. Eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion oder Abnahme der Knochendichte wurde nicht beobachtet.
In der Studie 9033 wurden 600 bisher unbehandelte PatientInnen mit einem viral load von 80‘000 HIV-1 RNA-Kopien/ml und 280 CD4-Zellen/mm3 doppelblind entweder mit Tenofovir (1 x 300mg/d) oder Stavudin (d4T, Zerit®)(2 x 40mg/d) zusammen mit Efavirenz (Stocrin®) und 3TC (3TC®) behandelt. Nach 48 Wochen wiesen 76 bzw. 79% der StudienteilnehmerInnen einen viral load < 50 HIV-1 RNA-Kopien auf. Der CD4-Zellanstieg in beiden Behandlungsgruppen betrug im Mittel 168 Zellen/mm3.
In der non-inferiority Studie HEAT8 wurden 688 antiretroviral-naive PatientInnen mit einem medianen viral load von 80'000 Kopien/ml und 200 CD4-Zellen/ul während 48 Wochen doppelblind prospektiv randomisiert entweder mit Abacavir + 3TC plus Lopinavir/ritonavir oder mit Tenofovir + mtricitabin (FTC) plus Lopinavir/ritonavir (und dem jeweils entsprechenden Placebo) behandelt. Ein HLA-B*5701 Test zum Ausschluss von StudienteilnehmerInnen mit Risiko für eine Abacavir-Hypersensitivitsreaktion wurde nicht durchgeführt. Die Dropout-Rate betrug 20 und 24% und die häufigsten Gründe dafür "loss to follow-up" und "patient decision". Wegen Nebenwirkungen stoppten 13 (4%) Personen ABC + 3TC bzw. 20 (6%) Tenofovir + FTC und wegen virologischem Versagen 4 in beiden Gruppen. Nach 48 Behandlungswochen zeigten 68% der mit Abacavir + 3TC und 67% der mit Tenofovir + FTC (ITT, missing data = failure Analyse) behandelten PatientInnen einen viral load <50 RNA-Kopien/ml bzw. 84 und 87% (on treatment Analyse) und der Anstieg der CD4-Zellen betrug 201/ul bzw. 173/ul.
Resistenz
Im Reagenzglas gezüchtete Adefovir-resistente Viren (Mutationen an den Positionen 65 und 70) erscheinen sensibel gegen PMPA1. Viren mit einer Mutation M184V (typischerweise induziert durch 3TC) sind empfindlicher als der Wildtyp. Viren mit einer Mutation K65R (typischerweise induziert durch Abacavir, Didanosin oder Zalcitabin) sind etwas weniger empfindlich, bei gleichzeitiger Mutation M184V) hingegen praktisch gleich empfindlich wie der Wildtyp. Viren mit der NRTI-Klassenresistenzmutation Q151M sind sensibel, diejenigen mit einer (oder mehreren) Insertion(en) an Position 69 hingegen resistent.
Nebenwirkungen
TDF wird primär über die Nierenausgeschieden (vgl.
Dosierung)
und wird, vor allem basierend auf Kohortendaten, mit Phosphatverlust
und Nierenschäden [inkl.
akutes
Nierenversagen und tubuläre Nekrose mit schwerer
Hypophosphatämie
(Fanconi Syndrom)] in Zusammenhang gebracht. Risikofaktoren für
eine Nierenschädigung sind: Alter
(>50 Jahre Risikofaktor 13 im vgl zu <40 Jahre),
niedriger body mass index (BMI <22kg/m2:
RF 3.8), weibliches Geschlecht (RF 3.2), Tenofovir > 1 Jahr (RF
1.6), undetectable viral load (RF 1.6) und Diagnose AIDS (RF 1.3).
In den Zulassungsstudien die am häufigsten beobachteten
Nebenwirkungen waren:
Anstieg der
Kreatinkinase (Muskelenzym), Anstieg von GPT und GOT (Muskel- oder
Leberenzyme),
Erhöhung der Triglyzeride und vorübergehende Abnahme des
Blut-Phosphorspiegels.
Die schwerwiegendsten Nebenwirkungen waren Pankreatitis
(Bauchspeicheldrüsenentzündung), Zunahme des totalen
Bilirubins im Blut und Leberentzündungen. In der
Studie 903 waren Triglyzerid-Erhöhungen seltener (2%) als in der
d4T-Gruppe
(8%).
Im Gegensatz zu PMEA führt die Metabolisierung
von PMPA nicht zu einer Verarmung des Körpers an L-Carnitin. Ein
Ersatz
ist somit überflüssig.
Bei Menschen mit einer gleichzeitigen chronischen Hepatitis B: siehe
Resultate von Studien.
Interaktionen
Im Gegensatz zu
Nukleosidanaloga
RT-Hemmern sind beim Einsatz von Tenofovir wichtige Wechselwirkungen zu
beachten.
Betroffen sind in der Regel die Kombinationspartner. Tenofovir erhöht
auf unbekannte Weise die Konzentrationen von ddI (Interaktionen
mit Didanosin) und reduziert die Konzentrationen von
Proteaseinhibitoren. Im Falle von Atazanavir werden
dessen Talspiegel um 26% reduziert, sodass Atazanavir zusammen mit
Tenofovir
lediglich Atazanavir 300mg + Ritonavir 100mg verbareicht werden darf.
TDF wird primär
über die Nierenausgeschieden
(vgl. Dosierung) und wurde in Einzelfällen mit
Nierenschäden in Zusammenhang
gebracht. Patienten
mit
anamnestischen Nierenfunktionsstörungen oder die gleichzeitig
potentiell
nephrotoxische Substanzen erhalten sollen engmaschig bezüglich
Phosphat
und Kreatinin überwacht werden.
Lagerungsvorschriften
Tenofovir DF ist gemäss den Angaben des Herstellers aufzubewahren.
Dosierung
Tenofovir DF wird einmal täglich in einer Dosierung von 300mg (eine Tablette) eingenommen. Eine Tablette enthält 300mg Tenofovir disoproxil fumarat; dies ist gleichwertig mit 245 mg Tenofovir d isoproxil. Dosierung bei verminderter Nierenfunktion: Kreatinin Clearance 30-49ml/min: 300mg alle 2 Tage; Kreatinin Clearance 10-29ml/min: 300mg alle 2 x pro Woche; bei PatientInnen unter Hämodialyse: 300mg pro Woche bzw. 300mg nach jeweils 12 Stunden Dialyse.
TDF ist auch als Komponente von Kombinationspräparaten erhältlich:
Kommentar
Die Wirksamkeit der
Substanz
sowohl bei bisher unbehandelten als auch vorbehandelten PatientInnen
wurde
eingehend dokumentiert . Die einmaltägliche Einnahme macht sie
attraktiv
für die Ersttherapie - nicht zuletzt als Kombinationspartner in
einmaltäglich verabreichten (überwacht
eingenommenen) Kombinationstherapien und ihre Wirksamkeit bei
NRTI-resistenten Viren für den Einatz
im Rahmen von Salvagetherapien. Tenofovir wirkt auch gegen
Hepatitis B-Viren, auch solche mit einer 3TC-Resistenz (YMDD-Mutation)
und scheint bedeutend weniger - aber auch! - wie andere
Nukleotidalaloga (Adefovir,
Cidofovir) zu Nierenschäden zu führen. Die Risikofaktoren
sind zu beachten und die Nierenfunktion ist entsprechend zu
überwachen.
Literatur
Last update 03.07.2010
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